Auf nach Belgien

Jun 3, 2022

Kurz bevor ich auf meine allererste Einhand-Etappe gehe, möchte ich Dich einladen mich und Roci von Rotterdam nach Ostende zu begleiten. Der Bericht ist erneut etwas länger, aber ich hoffe Du hast trotzdem Spaß an der Lektüre.

Roci und ich sind aktuell in Brest, also etwa drei Woche voraus. Es folgen also noch Berichte über die Normandie, die Kanalinseln und die Bretagne.

Zuvor geht es aber, wie bereits erwähnt, auf meine Einhand-Etappe von Brest auf die Azoren. D.h. nur Roci und ich werden ab Donnerstag nonstop die ca. 1100 sm nach Terceira bestreiten.

Wenn Du uns begleiten möchtest und wissen willst wo wir uns aktuell aufhalten, kannst Du uns weiterhin auch live tracken.

Den Link zu der Trackingseite findet ihr hier:

Wie immer:

Solltest Du spontan Lust auf Segeln haben, dann melde Dich jederzeit. Wir werden mit jeder Woche besser und die Kullissen für unsere Törns sind ein Traum.

Törn 8: Samstag 11.06.2022 Terceira (ehemals Horta), Azoren, 2 Wochen Offshore Passage.

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Jetzt geht es los. Viel Spaß beim lesen

Rotterdam

Nun waren wir in Rotterdam. So rechtzeitig, dass wir sogar noch den gesamten Montag zum Sightseeing nutzen konnten, denn Anthea und Max, die mit mir seit Hamburg unterwegs waren, mussten erst am Dienstag wieder nach Berlin. Das Wetter war uns, nach den ersten schweren regnerischen und stürmischen Tagen, ebenfalls seit der deutschen Nordsee gewogen und so bereiteten wir uns auf einen frühlingshaften Tag in Rotterdam vor. Unsere Ziele waren das Hotel New York, von dem aus über die Jahre tausende, wenn nicht sogar hunderttausende Menschen, ihre Passage mit dem Schiff über den Ozean in die „neue Welt“ begonnen haben, das beeindruckende Gebäude de Rotterdam, die sog. vertikale Stadt, erdacht von dem berühmten Architekten Rem Koolhaas, und der sehr hübsche Innenstadtpark. Bei tatsächlich milden Temperaturen war der Park bereits voll mit entspannten Menschen auf Ihren Decken, die den Geruch des Grases und der bereits blühenden Blumen und Pflanzen genossen. Auch der Bärlauch blühte und war mit seinen weißen, den Maiglöckchen sehr ähnlichen Blüten, besonders schön anzuschauen. Über den Geruch dieser Pflanze lässt sich jedoch wahrscheinlich vortrefflich streiten. Auch ein paar Kaltgetränke auf den Terrassen der Cafés durften natürlich nicht fehlen. Mit ein paar Aperol Spritz aus eigener Herstellung ließen wir den Tag dann auf Roci ausklingen. Ab dem nächsten Tag, nach der Abreise meiner beiden Freunde, stand dann wieder die Endlose Liste im Mittelpunkt. Der Geräteträger musste vom ersten Flugrost befreit werden, am Heck und im Bad gab ein paar kleinere Gelcoatarbeiten zu erledigen, es musste geputzt und aufgeräumt werden, aber der Inverter spielte in meiner Prio Liste eine besondere Rolle.

Bild von Rotterdam

Disclaimer: Jetzt folgt Bootstechnik Nerdkram

Der Inverter oder Wechselrichter sollte auf Roci die Steckdosen in Betrieb halten, die normalerweise nur funktionieren, wenn Roci an den Landstrom einer Marina angeschlossen ist. So dachte ich mir in der Vorbereitung, ich könnte einfach einen Inverter einbauen, diesen mit dem Eingang an die Batterien und mit dem Ausgang an den Landanschluss anschließen und so die 220V Steckdosen, für Handys und Computer etc., weiterhin nutzen. Leider war der erste Anschluss in Maakum ein Misserfolg, der zu einer Abschaltung des Inverters führte und, mir im nachhinein natürlich vollkommen unklar, auch dazu, dass er in der Folge nicht mehr anging. Da das Gerät von einer niederländischen Firma war, hielt ich es für eine sinnvolle Idee das noch zu klären so lange ich in noch in den Niederlanden war. Ich suchte einen Vertragshändler der Firma raus und klärte mit der Firma selbst ein mögliches Garantieverfahren und machte mich auf den Weg. Es wurde ein weiter, aber sehr schöner Spaziergang, bei schönstem Wetter, durch den Süden von Rotterdam. Ca. eineinhalb Stunden war ich unterwegs und hatte in der Zeit natürlich alle Szenarien durchgespielt. Von die können/wollen nicht helfen, bis die Lieferung eines Ersatzgerätes dauert länger als mein geplanter Aufenthalt in den Niederlanden. Aber es kam dann doch noch ganz anders. Die super freundlichen Mitarbeiter in dem Laden testeten meinen Inverter und siehe da, er funktionierte einwandfrei. Keine Ahnung, was ich falsch gemacht habe. So richtig rausfinden, was das Problem bei meiner Installation gewesen sein könnte, konnten wir ebenfalls nicht. So musste ich unverrichteter Dinge, mit dem Wissen, dass das Gerät in Ordnung war und der Erfahrung eines schönen weiten Spaziergangs, wieder abziehen. Zum Abschied gab mir der Mitarbeiter noch den Tipp nicht zurück zur Marina zu laufen, sondern das Wassertaxi zu nehmen, was mich auch in 13 Minuten und für sieben Euro zurück in die Stadt brachte. Auf Roci zurück überprüfte ich erneut alle Kabel und baute den Inverter wieder ein. Und siehe da, er lief. Einwandfrei. Über die Bluetooth Schnittstelle konnte ich sehen, wie hoch die Belastung beim Einschalten bestimmter Geräte war und musste feststellen, dass er den Boiler nicht schaffte. D.h. der Boiler mehr als 1200 Watt beim Betrieb zieht und da macht der Inverter dann dicht und schaltet sich ab. Außerdem ist es wahrscheinlich keine gute Idee das Batterieladegerät, was die Batterien bei Landstrom laden soll, anzuhaben, wenn der Inverter den Strom für das Gerät erzeugt, den er aus der Batterie nimmt, mit dem dieselbe Batterie wieder geladen werden soll. Da hätte ich auch früher drauf kommen können. Egal, wenn man Boiler und Batterieladegerät aus lässt, dann funktioniert der Inverter einwandfrei.

Voll der Nerdkram im letzten Abschnitt, aber vielleicht interessiert ja doch den einen oder die andere hier.

Nach Nieuwpoort über Nacht.

Nach fünf Tagen Auseinandersetzung mit der endlosen Liste und zahlreicher Haken an selbiger, kam am Samstag den 23.04.2022 mein Freund Tommy aus Berlin an. Mit dem Nachtzug aus Berlin erreichte er Rotterdam um 09.27 Uhr. Abgelegt haben wir unmittelbar, um die Öffnung der Erasmusbrug um 11 Uhr nicht zu verpassen. Diese auch Schwanenhals genannte Brücke (Foto im lketzten Newsletter), die mitten durch Rotterdam über die Nieuwe Maas geht, wurde nur für uns geöffnet, was schon krass ist, wenn man sich die sich stauenden Autos und Trams vor der Brücke anschaut. Auf der anderen Seite, gibt es für uns, mit unseren ca. 20 Meter hohem Mast, keinen anderen Weg auf die Nordsee. Und da wollten wir hin um eine schnelle Passage über Nacht nach Nieuwpoort in Belgien durchzuziehen.

Der Wind blies anständig aus Nord bis Nordost und nach einer ruhigen Fahrt auf der Maas zeigte die Nordsee auch direkt nach Verlassen des sicheren Bereichs hinter der Mole. Mit Böen bis 25 Knoten und einer kabbeligen Kreuzsee gab sie sich unwirtlich. Dazu kam ein hohes Aufgebot an schnellen und großen Frachtern, die im selben Zeitraum entweder die Maas verlassen oder nach Rotterdam hineinfahren wollten. Nach ein paar stressigen Minuten hatten wir das Fahrwasser gequert, die Segel gehisst und machten uns auf in Richtung Süden. Die Welle wurde deutlich angenehmer je weiter wir von der Einfahrt wegkamen und es versprach ein schöner Törn zu werden. Leider war es für Tommy da schon zu spät. Der Arme hatte im Zug nach Rotterdam kaum schlafen können und sehr viel gearbeitet in der Woche zuvor. Eigentlich hätte er Urlaub gebraucht und nun das. Dass sein Magen etwas sensibel auf Seegang reagiert hätten wir auch wissen können, da es ihm bereits bei einem gemeinsamen Aufenthalt auf den Bahamas zwischendurch eher schlecht erging. So kam es wie kommen musste und der Schlafmangel und der Seegang knockten ihn total aus. Nach dem Fische füttern folgte eine Phase der Müdigkeit, was nicht ungewöhnlich ist, und er verkroch sich in die Koje und schlief.

Ich hingegen hatte eine tolle Zeit. Nach ca. 2 Stunden drehte ich kurz bei und montierte den Windpiloten, um im Anschluss die Passatsegelstellung aufzuhissen. Diese in einem früheren Newsletter bereits erwähnte Segelstellung wird genutzt, wenn der Wind genau von hinten kommt und hat den Vorteil, dass beide Segel auf verschiedenen Seiten „festgesetzt“ werden und so Sicherheit und Stabilität gewährleisten. Durch eine gute Einstellung des Windpiloten konnte ich mich, der ja nun quasi ein Einhandsegler war, um die Navigation und den mich umgebenden Verkehr kümmern. Und spätestens mit Erreichen der belgischen Küste vor Zeebrügge war da Einiges los und nicht alle Verkehrsteilnehmer kamen ihrer Pflicht zur Rücksichtsahme nach.

Wir flogen, mit der noch schiebenden Ebbe, in Richtung Nieuwpoort und so langsam machte ich mir Sorgen, dass wir zu früh da sein würden, was insbesondere in Tidengewässern unangenehm werden kann, da manche Einfahrten schwierig zu passieren sind, wenn die Tide in die falsche Richtung setzt. Trotzdem genoss ich das Segeln und Roci, bei der alles funktionierte wie es sollte. Es war trotz des Windes recht mild und mit der richtigen Kleidung angenehm warm. Gegen 18.30 Uhr weckte ich Tommy mit ein paar Nudeln Arrabiata. Es blieb bei seinem Versuch etwas davon zu essen und er verkrümelte sich schnell wieder in seine Koje.

Ich blieb auf Wache und mit der einsetzenden Dunkelheit wurde es zunehmend schwieriger die Entfernungen und auch die Größe der anderen Schiffe auszumachen. Es blieb tolles Segeln. Mit etwas abflauenden 20 Knoten aus Nord waren wir weiterhin sehr schnell unterwegs. Auch der Zeitplan stimmte wieder, da die mittlerweile gekippte Strömung nun entgegen unserer Fahrtrichtung setzte. Alles also wie es sein soll und ich war mal wieder sehr glücklich in meiner existenzialistischen Blase.

Gegen 20.00 Uhr kam dann die große Securité Runde geleitet von Ostende Radio, die mir die nächsten Stunden nochmal ganz schön aufregend machen sollte. Securité Meldungen sind in der Seefahrt Meldungen, die die Sicherheit der Seefahrt betreffen. Das können u.a. Meldungen über erloschene oder verlegte Leuchtfeuer, treibende Gegenstände, wie Container oder Baumstämme oder eben geschlossene Häfen sein, was in unserem Fall für eine leichte Anspannung sorgte. Zwar konnte ich in der ziemlich verrauschten Nachricht die Worte „Nieuwpoort“ und „closed“ hören, war aber nicht in der Lage zu verstehen von wann bis wann. Erstmal checkte ich unsere Route und errechnete wann der letzte sinnvolle Zeitpunkt ist zu einem anderen Hafen als Nieuwpoort abzulaufen, oder ob es Sinn macht vielleicht sogar noch weiter nach Südwesten zu fahren. Meine Berechnungen zeigten, dass Ostende unser bester Shot sein würde und wir bis um ca. 23.30 Uhr Klarheit haben müssen. Also noch vier Stunden bevor eine Entscheidung getroffen werden musste. Vorher hatte ich noch Stress mit dem einen oder anderen Frachter. Mindestens zweimal in dieser Nacht haben Frachter meiner Meinung nach die Fahrregeln ignoriert und das Recht des Stärkeren geltend gemacht. Grundsätzlich ist das vollkommen ok. Was heißt ok? Sagen wir mal: Es ist nichts Ungewöhnliches. Aber hier in der Dunkelheit, der Mond war noch nicht aufgegangen, war die Kaltschnäuzigkeit extrem. Ein Frachter kommt von achten auf und ich sehe auf dem AIS, dass wir uns sehr nah kommen werden. Ich ändere meinen Kurs leicht um das zu vermeiden, obwohl ich Kurshaltepflichtig bin, und zeige so, dass ich keinen Ärger will. Kurz danach ändert das andere Schiff seinen Kurs in meine Richtung und macht so den gewonnenen Abstand wieder zu Nichte. Solche Situationen erlebte ich in dieser Nacht mehrfach und ein zwei Mal bin ich zur Sicherheit beigedreht und habe den „Großen“ durchfahren lassen, bevor es doch nochmal knapp wird.

Während wir also an der stark befahrenen Küste Belgiens entlang navigierten, stieg meine Anspannung, da ich mir nicht sicher war, ob und wann die Securité Meldungen noch einmal wiederholt werden würden. Alle Funkgeräte auf die verschiedenen Frequenzen eingestellt, wartete ich. Doch Ostende Radio machte keinen Mucks. So entscheid ich mich selber die Initiative zu ergreifen und funkte um 23.15 Uhr die Küstenfunkstation an. Ich bekam prompte Antwort und auf die Nachfrage, wann denn der Hafen von Nieuwpoort wieder öffnete, erfuhr ich, dass der Hafen erst am 30.04.2022, also in einer Woche, wieder öffnen würde. Es war noch nicht zu spät um nach Ostende abzulaufen. Ich informierte den immer noch komatösen Tommy über unseren Kurswechsel und ging auf einen hohen Halbwindkurs in Richtung Ostende. Durch die Beleuchtung der Stadt und des Hafens war die Ansteuerung nicht einfach und ich musste immer wieder die Karte zu Rate ziehen, nur um dann festzustellen, dass es irgendwie ganz anders aussieht in Echt. Es ist wirklich faszinierend, wie schlecht Entfernungen, Geschwindigkeiten und Größen vom Menschlichen Auge in der Dunkelheit wahrgenommen werden können. Und wie viel die Vorstellungskraft sich dann gleich einmischt. Ich bin lange neben einem uns überholendem Frachtschiff hergefahren und wunderte mich warum das Schiff nicht endlich an uns vorbeizieht. Erst nach ca. 10 Minuten stellte ich fest, dass das vermeintliche Schiff eine Lichtreflektion auf dem Wasser und eine beleuchtete Tonne war. Mein Gehirn konstruierte sofort das seiner Meinung nach Naheliegendeste, nämlich ein Schiff.

Nach einer weiteren Stunde erreichten wir dann endlich die Einfahrt in den Hafen. Dort musste noch einmal Ostende Traffic Control angefunkt werden, um die Erlaubnis zum Einfahren in den Hafen zu erhalten, was eine Selbstverständlichkeit ist, der Form halber aber immer getan werden sollte. Ich hatte mir bereits den Hafen auf der Karte angenschaut und auch die Marina, in der ich dann die nächsten Tage bleiben wollte. Die Mercator Marina liegt hinter einer Schleuse und ist dadurch gegen Strömung und Tidenhub geschützt, was das Liegen sehr angenehm macht. Einziges Problem war natürlich, dass die Schleuse in der Nacht nicht bedient wurde. So legten wir vor der Schleuse an dem Wartesteiger an und verbrachten dort die Nacht.

Am nächsten Morgen um kurz nach acht funkte ich die Schleuse, respektive Marina an und um 08.30 Uhr wurden wir in das Marina Hafenbecken geschleust und konnten endgültig in Ostende festmachen.

Ostende bei Tageslicht glänzte nicht unbedingt mit Charme. Ein touristisch ausgesprochen gut erschlossener Ferienort mit ziemlich hohen Appartement Blöcken, Restaurants und Boutiquen. Positiv herausstechen tut in jedem Fall die große gotische Kirche, die in unmittelbarer nähe zur Marina steht. Die obligatorischen Moules Frites ließen wir uns schmecken und schlenderte mit einem wiederhergestellten Tommy durch die Fußgängerzone. Bereits am nächsten Tag würde Tommy wieder abreisen, also ließen wir es entspannt angehen, schauten einen Film und gingen früh ins Bett.

So far for now. Wie immer hoffe ich der Reisebericht hat Dir gefallen.