Liebe Lesenden,
obwohl Roci und ich, nach einer aufregenden Offshore Passage von den Azoren, bereits in Portimão angekommen sind, folgt hier nun unser Bericht über die Reise von Ostende bis Le Havre im Mai 2022.
Die Reiseabschnitte Kanalinseln, Bretagne, Einhand auf die Azoren und Azoren folgen. Es wird also auch in der zweiten Jahreshälfte nicht langweilig werden.
Meine und Rocis gemeinsame Reise endet hier. Zumindest für eine Weile. Wie Du vielleicht weißt, habe ich die Möglichkeit bekommen Rocinante für 13 Monate an eine befreundete Familie abzugeben. Diese Familie wird mit Roci eine Atlantikrunde drehen. Also die gleiche Route segeln, die Roci und ich dann ab dem nächsten Sommer 2023 Dir anbieten werden. Losgehen wird es in Portimão. Mit Törns über Madeira, die Kanaren und Cap Verde wird Roci dann in der Karibik an- und dem europäischen Winter entkommen. Dort wird es mit vielen Abstechern durch die wunderbare Karibik langsam nach Norden gehen, um dann im Frühsommer über die Azoren wieder nach Portugal zurückzukehren. Wenn Du schon mal schauen willst welche Region für dich in der Saison 2023/24 in Frage kommt, dann kannst Du Roci weiterhin über unsere Homepage folgen. Zusätzlich kannst Du auch Susanna und Aurel auf ihrem Blog bei ihren Abenteuern begleiten.
https://www.immermeersehn.ch/blog-1/
Im Zuge der nächsten Newsletter werde ich auch schon die Ersten Törns für die Saison 2023/24 veröffentlichen.
Und den direkten Link zu den neuen Törns in 2023/24 gibt es hier:
Jetzt aber erstmal wieder zurück in den Mai…
Die Normandie
Nach fünf Tagen Ruhe und Basteln in Ostende besuchten mich meine Eltern, die mich über meinen bevorstehenden Geburtstag begleiten wollten. Und natürlich wollten Sie auch Roci, nach so vielen Geschichten und Bildern, einmal besser kennenlernen. Ursprünglich planten wir, dass meine Eltern am Freitag und meine Schwester am Samstag nach Ostende kommen sollten. Am Sonntag wollte sich dann noch meine Frau Lena zu uns gesellen. Das Wetter spielte jedoch insofern nicht mit, als dass Samstag guter Wind aus Nord angesagt war und Sonntag Flaute. Also entschieden wir uns spontan, den Plan zu ändern und bereits am Samstag den Wind zu nutzen und nach Calais zu segeln. Die knapp 50 sm wollten wir in ca. 10 Stunden hinter uns bringen. Wieder musste die Tide und die Schleusenzeiten der Marina in Ostende mit eingeplant werden. Um 18.00 Uhr am Freitagabend wurden wir dann in den Vorhafen geschleust und machten, wie bereits bei unserer Ankunft, am Wartesteiger fest. Hochwasser würde am nächsten Tag um 06.00 Uhr sein und so war zeitiges ins Bett gehen angesagt.
Früh am nächsten Morgen war es noch empfindlich kalt. Der Himmel zeigte sich grau und strahlte eine ungemütliche Atmosphäre aus. Aber wir hatten Glück; der anfänglich eher schwache Wind nahm stetig zu, die Wolkendecke riss nach und nach auf und uns wurde ein sehr schönen Segeltag beschert. Lord Hyva, die Windsteueranlage, steuerte uns stabil in Richtung Westen und wir hatten eigentlich nicht viel zu tun. Die durch lange Sandstrände geprägte und schön anzuschauende Küste Belgiens zieht sich durch die Städte Nieuwpoort und Dunkerque, nicht so schön anzuschauen, unterbrochen bis zur französischen Grenze. Je näher man dem Nadelöhr zwischen Calais und Dover kommt, desto mehr steigt die Küste an und wird zu dem Pendant der berühmten Kreidefelsen von Dover. Mit einer Entfernung von unter 20 sm zwischen den beiden Küsten konnten wir die englische Steilküste sogar sehen.
Wie geplant erreichten wir gegen 16.00 Uhr Calais. Nach einem kurzen Funkspruch an Port Control wurde uns die Einfahrt in den Hafen erlaubt und wir fuhren direkt in den Avant Port in dem wir an einer der dort vorhandenen Moorings festmachten. In Calais muss man, um in die Marina einzufahren, die Pont Henon passieren, die nach einem an das Hochwasser angepassten Plan nur zu bestimmten Zeiten vor, während und nach dem Hochwasser öffnet. Wir hatten ein ziemlich gutes Timing und mussten noch nicht mal 10 Minuten warten bevor sich die Brücke hob und wir an den Visiteur Pontoon heranfuhren.
Da wir ja unseren Plan, unter anderem auch die Stadt Brügge zu besichtigen, durcheinandergewirbelt hatten, war nun die Idee diesen kleinen Sightseeing Tag am Sonntag nachzuholen, denn auch aus Calais ist es nicht sehr weit nach Brügge und meine Frau Lena würde dort eh am Sonntag morgen ankommen. Anstatt sie also nach Calais umzuleiten, entschieden wir uns dafür uns in Brügge zu treffen. Es wurde ein schöner, zwischendurch sogar sonniger Tag in dieser sehr hübschen mittelalterlichen Stadt. Als Handelszentrum und über Kanäle mit dem Hafen Zeebrügge verbunden, war Brügge im 13. Jahrhundert zu einem wichtigen und wohlhabenden Handelszentrum mit Bischoffssitz aufgestiegen. Die Gebäude und Kirchen sind sehr gut erhalten und durch die Kanäle, die den Stadtkern durchziehen, besitzt die Stadt einen pittoresken Charme. In jedem Fall ist sie einen Besuch wert, auch wenn die Touristen das Stadtbild beherrschen und auch sich die einheimische Wirtschaft in Form von touristischen Atraktionen und einer Unmenge an Souvenirgeschäften offensichtlich vollkommen darauf eingestellt hat.
Am Abend wollte ich in meinen Geburtstag reinfeiern und wir machten uns einen sehr gemütlichen Abend auf Roci, kochten, sangen und diskutierten über Gott und die Welt und ich war sehr glücklich, dass die wichtigsten Menschen da waren, um mit mir meinen Geburtstag zu erleben. Und das auch noch auf Rocinante.
Am Montag sollte es erst zum Nachmittag weitergehen. Hochwasser war für 17.00 Uhr angekündigt und wir passierten Pont Henon eine Stunde vor HW mit dem Ziel Boulogne s. Mer. Ein sehr schöner und milder Segeltag folgte und wir genossen die wilde Kulisse der Normandie mit ihren Steilküsten. Der Wind verließ uns leider nach kurzer Zeit und wir mussten einen Teil der Strecke mit Motorunterstützung zurücklegen.
Wir erreichten Boulogne sur Mer bei fast vollständigem Niedrigwasser, was den ziemlich industriellen Charme der Stadt nochmal verstärkte. Das jetzt niedrige Wasser und die dementsprechend extrem hoch wirkenden Spundwände und Molen, noch nass und grün bewachsen mit Muscheln und Algen, nach Meer riechend, gaben der Einfahrt ein besonderes Flair. Und wir merkten, mal wieder, dass der Tidenhub immer größer wurde. Zu diesem Zeitpunkt in Boulogne bereits ca. 8 m Hub zwischen Niedrig- und Hochwasser. Das führt dazu, dass man bei Niedrigwasser tief im Hafenbecken verschwindet und bei Hochwasser auf einmal über die Molen in die Stadt schauen kann. Enorm beeindruckend.
In Boulogne liegt am Ende des Hafenbeckens ein Wehr, das bei Hochwasser geöffnet werden kann, um die Einfahrt in den dort gelegenen Fluss zu ermöglichen. Dies geht nur bei Hochwasser, da das Tor dafür sorgt, dass bei Niedrigwasser der aufgestaute Fluss sich nicht in das Hafenbecken entleert. Das Bild dieses Tors bei Niedrigwasser ca. 100 m entfernt und 8 m über einem zu sehen und die Vorstellung, dass, sollte es brechen, sich zig Millionen Liter Wasser über uns ergießen würden, ist aufregend und beängstigend zugleich.
Leider musste Lena am nächsten Morgen bereits zurück nach Berlin und so brachte ich sie schweren Herzens zum Zug. Der kleine Spaziergang durch Boulogne gab uns noch einmal etwas Zeit mit einander und obwohl wir die Situation ja bereits kennen, ist es doch jedes Mal schwer und auch traurig. So rangen wir beide um unsere Fassung und trennten uns notgedrungen. Aber nicht ohne bereits Pläne zu machen, wann und vor allen Dingen wo wir uns wiedersehen würden.
Für mich und meine verbliebene Familie ging es weiter, wenig Zeit traurig zu sein. Die Windvorhersage war vielversprechend und unser nächstes Ziel sollte Dieppe sein. 50 sm genau nach SW. Nach Einstellung der Passatsegel und des Autopiloten, heute mal der elektrische Namens Raymond, genossen wir großartiges Segeln und die wilde und wunderschöne Landschaft mit seinen Klippen in verschiedenen Farben. Von Rostrot direkt unter der Grasnarbe, bis zu charakteristisch weiß. Alle paar Kilometer senkte sich die Küste und in die entstehende Kuhle geduckt, lag eine kleine Ansammlung von Häusern. Durch die späte Abfahrt wurde es unterdessen Abend.
Anfahrten bei Nacht sind immer besonders, da man sich zwingen muss die Lichter und Farben ganz nüchtern zu betrachten und seiner Fantasie einen Riegel vorzuschieben, damit diese nicht die ganze Zeit Molen, Schiffe oder Fahrwege erfindet, die gar nicht da sind. So auch in Dieppe. Die Einfahrt dann doch recht gut sichtbar erreichten wir die Marina gegen 23.00 Uhr. Durch mein obligatorisches Telefonat mit der Marina wusste ich bereits, wo wir anlegen würden und fanden unseren Platz auch ohne Probleme. Der uns zugeteilte Steg liegt ganz außen hin zu der Ausfahrt und bei der damaligen Windsituation wurde es eine unruhige Nacht, da der Wellenbrecher, insbesondere bei Hochwasser, wenig auszurichten vermochte und zusätzlich der durch das ablaufende Wasser unruhige Hafen Roci ordentlich vor und zurück in die Leinen einrucken ließ.
Der Platz also nicht ganz optimal, aber auch nicht der Welt Untergang, würden wir am nächsten Tag ja eh weiter segeln. Also Augen zu und schlafen.
Ein kurzer Gang in die Stadt Dieppe zeigte eine ganz interessante rustikale französische Kleinstadt und durch das schöne Wetter nun auch mit französischer Lebensart in den Cafés und auf den Straßen. Dem Ruf nach einem Kaffee auf der Terrasse in der Stadt konnten wir nicht wiederstehen und so setzten wir uns und ließen uns die Sonne ins Gesicht scheinen.
Das nächste Ziel hieß Fécamp. Eigentlich eine unspektakuläre Überfahrt, mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass ich übersehen hatte, dass Fécamp kein tidenunabhängig befahrbarer Hafen ist. Insbesondere bei Spring und bei Westwind kann die Einfahrt flach und durch Grundseen gefährlich sein. So ging das Gerechne los. Mit dieser Geschwindigkeit, heute Hochwasser in Le Havre um …., wieviel Wasser ist dann bei unserer wahrscheinlichen Ankunft noch unter dem Kiel. Zur Sicherheit noch zweimal kontrolliert, dann konnte Entwarnung gegeben werden. Der Wasserstand würde reichen und uns auch noch ein kleines Sicherheitspolster lassen. So beruhigt konnte es also weitergehen und der ursprüngliche Plan wieder aufgenommen werden. Zum frühen Nachmittag liefen wir in Fécamp einem kleinen Hafen mit vielen kleinen privaten Motor- und Segelbooten und einem weiteren hinter einer Hochwasserschleuse gelegenen samt Rollbrücke. Auch diese kleine Stadt ist schön zu erlaufen. Es gibt ein Kloster samt Destille in der ein Schnaps namens Benedictes erfunden wurde und bis heute gebrannt wird. Zusätzlich eine hübsche Kirche, einen Marktplatz und ein paar kleine Cafés am Hafen in denen es sich hervorragend ein Bierchen trinken lässt.
Nur noch eine Etappe bis zum Törnziel Le Havre und auch dem Crewwechsel. Leider ließ uns auf dieser letzten Etappe der Wind nun vollends im Stich und so wurde wieder der Motor unser Antriebsmittel. Le Havre erreichten wir ohne Probleme und auch der Fähr- und Frachtverkehr machte uns nicht weiter zu schaffen, auch wenn wir bei der unmittelbaren Einfahrt nach Le Havre es noch mit Gegenverkehr zu tun hatten. Doch auch hier hatte ich vorher mit der Port Control Kontakt aufgenommen und diese hatte mir im wahrsten Sinne des Wortes grünes Licht für die Einfahrt gegeben.
Die sehr große und zweckmäßige Marina Le Havre mit exzellenten sanitären Anlagen hat alles, was man so braucht, außer kurzen Wegen. Nichtsdestotrotz fühlten sich Skipper und Crew wohl. Um 22.00 Uhr erreichte uns dann bereits die nächste Crew bestehend aus Anthea und Liz aus Berlin, die für den Törn durch die wilden Kanalinseln angereist sind. Zum ersten Mal seit Hamburg war Roci in dieser Nacht fast ausgelastet, wenn auch nur für eine Nacht. Gemütlich war es umso mehr, da die Außentemperaturen immer noch sehr niedrig waren.
Das wars für heute. Wie immer hoffe ich der Reisebericht hat Dir gefallen.