Bonjour,
während sich Rocinante mit Aurel, Susanna und den Kindern auf dem Weg nach Madeira befindet, bin ich als Segellehrer in Südfrankreich tätig. Ich war schon lange nicht mehr an der Cote d’Azur und ich muss sagen, die Gegend zwischen Marseille und Nizza gefällt mir zundehmend. Es gibt viele tolle Ankerplätze und sehr, sehr, sehr viel schönes Wetter. Und ich beginne bereits im Kopf mit den Planungen einer „Wo ist Roci? goes Meds“ in zwei oder drei Jahren.
Der nun folgende Newsletter ist über einen Törn auf den ich mich sehr gefreut habe und auch in der Törnplanung als Schmankerl angekündigt habe. Es wird von Le Havre über Aldernay, Guernsey und Jersey nach St. Malo gehen.
Diesmal sind Liz und erneut Anthea dabei, die Du ja schon kennengelernt hast. Einerseits wegen ihrer tollen Fotos, die sie zu den vorherigen Törns von Hamburg bis Rotterdam beigetragen hat, andererseits, weil sie als Mitseglerin in den Newslettern hier schon erwähnt wurde.
Der Ausgangspunkt war also Le Havre wohin die beiden vorbildlich mit der Bahn angereist sind. Wie immer diente der erste Tag dem Ankommen und Proviantieren. Da die Beiden bereits am Freitagabend in Le Havre angekommen sind, konnten wir dies recht zügig abhandeln und so hatten Liz und Anthea noch Zeit sich die Architektur von Le Havre anzuschauen und ich konnte noch ein paar Bastelarbeiten erledigen und zum ersten Mal auf dieser Reise das Dinghy klar machen.
Le Havre wurde auf dem Rückzug der Deutschen Armee während des zweiten Weltkrieges fast vollständig zerstört. Daher ist die Architektur modern zu nennen. Herausstechen tut die Turmartige vollständig aus Beton erbaute neoklassizistische Kirche St. Joseph, die auch als Erinnerungsstätte an die Toten und der Zerstörung dient.
Wie so oft lief das Klarieren des Dinghys nicht ganz rund. Die erdachte Hebekonstruktion an den Davits bedurfte einiger Anpassungen und auch das Dinghy selbst brauchte noch einiges an Liebe. Ganz zu schweigen von dem Außenborder, der erst nach vollständiger Zerlegung und Reinigung des Vergasers und der Zündkerze seinen Betrieb aufnahm. Doch bei sonnigem Wetter und recht angenehmen Temperaturen betrachteten wir das einfach als ein beziehungsbildendes, sehr intensives Kennenlernen mit diesem anscheinend noch unbekannten Wesen.
Die zu berücksichtigen Tide, nach Möglichkeit bei Hichwasser bei Abfahrt in Le Havre als auch bei Ankunft auf Aldernay machte eine Abfahrt morgens um 03.00 Uhr notwendig, was eine kack Zeit ist. Aber was tut man nicht alles. Also früh raus und los. Die insgesamt 90 sm, vorbei an Cherbourg und dem Kap de La Hague wollten wir bis zum nächsten Abend in einem Rutsch hinter uns bringen, damit wir möglichst viel Zeit auf den Inseln verbringen könnten. Und der Plan ging auf. Sehr günstige Winde aus ONO und die Strömung drückten uns mit bis zu 10kn, im sogenannten Aldernay Race, einer starken Strömung zwischen Aldernay und Kap de la Hague, in Richtung W. Und bereits bei passieren von Cherbourg konnten wir uns Hoffnungen machen am frühen Abend im Hafen Braye auf Aldernay vor Anker zu gehen. Leider war die Windrichtung für den nach NO offenen Hafen ungünstig und so vertrauten wir lieber auf eine der dort vorhandenen Mooring Bälle, anstatt vor Anker zu gehen. Leider hat der Ball keinen Einfluss darauf, ob die Welle Roci in einem Hafen zum Schaukeln bringt oder nicht. Und es wurde schaukelig.
Die Zeit auf Aldernay verbrachten wir mit langen Spaziergängen über die Insel, bei Sonne und mildem Wetter. Die saftige Pflanzenwelt der Insel, mit grünen Wiesen und Weiden, wildem Fenchel und dickblättrigen Blumen begeisterte uns von Beginn an und wir genossen die Ruhe. Die Trails, die dort gelaufen werden können führen an ehemaligen Verteidigungsanlagen und Stränden entlang und schlängeln sich über die gesamte Wiese. Ein weiteres Highlight, und das scheinen die Inselbewohner ebenfalls so zu sehen, ist das Haus in dem George Martin, der Produzent und Impressario, der Beatles gearbeitet und gelebt hat.
Viel zu schnell mussten wir diesen friedlichen Ort verlassen, aber wir wollten uns ja auch noch die Anderen Kanalinseln anschauen. Als nächstes Ziel steuerten wir Guernsey an.
Erneut die Tide berücksichtigend waren wir diesmal gezwungen große Teile der knapp 35sm zu kreuzen, was unseren Zeitplan etwas durcheinander brachte. Wir erreichten St. Peter Port auf Guernsey leicht verspätet und wurden nach der Anmeldung per Funk an den recht neuen Außensteg geleitet. Da Springzeit war, wäre das Zeitfenster um in den inneren Hafen hinter dem Sill zu fahren eh extrem eng und selbst dann das Wasser unter dem Kiel knapp gewesen. Guernsey ist genauso wie Jersey direkt der britischen Krone unterstellt. Zu dem Gebiet der States of Aldernay gehören die Inseln Aldernay, Guernsey, Herm, die Casquettes, und Hanois, sowie einige kleinere Inseln. Das ist auch der Grund dafür, dass das Einreiseverfahren durch den Brexit nicht tangiert wurde. Nach wie vor muss ein quasi Einklarierungsverfahren durchlaufen werden, die Gelbe Flagge Q gezogen werden und Dokumente für die Immigrationsbehörden ausgefüllt werden. Allerdings basiert das Verfahren auf Vertrauen und wurde während unseres Aufenthaltes nicht kontrolliert.
St. Peter Port, als die einzige Stadt der Insel Guernsey ist die in der Region mit Abstand größte, bzw. mit über 18.000 Einwohnern die Bevölkerungsreichste. Die Gebiete bringen Ihre eigenen „britischen“ Banknoten heraus und während man die „echten“ britischen Pfund auf den Inseln nutzen kann, sind die Eigendrucke der Inseln auf der „großen“ Insel wertlos.
Wir spazierten nach dem Anlegen etwas durch die Kleinstadt, betrachteten das Fort, welches die Hafeneinfahrt bestimmt und gönnten uns zum Abendbrot klassisch Fish&Chips. Sehr salzig, aber gut.
Als touristische Attraktion fassten wir am nächsten Tag die extravagante „Little Chapel“ ins Auge. Eine kurze Busfahrt entlang enger Straßen eingefasst in Natursteinmauern mit üppig wuchernder Natur dahinter, führte uns in Richtung Flughafen. Nach einem kurzen Spaziergang an der Straße führte uns zu unserem Ziel. Die kleine glitzernde Kirche sieht fast aus wie ein Puppenhaus. Kaum vier Menschen finden in ihr gleichzeitig Platz, und doch erreicht man durch enge Gänge mehrere Ebenen und Räume, die eine von außen nicht zu erwartende Größe haben. Die kleine Kapelle wurde zu Beginn des letzten Jahrhunderts durch Mönche erbaut, mehrmals grunderneuert, erweitert und renoviert.
Als nächstes Ziel unserer Kanalinsel Expedition stand Jersey auf dem Program, bevor es dann bereits wieder in Richtung unserers Zielhafen St. Malo gehen sollte. Wir erwarteten eine entspannte Überfahrt. Die Windrichtung stimmte und ich hatte zur Sicherheit noch einmal die Expertise des Hafenmeisters bezüglich unserer Abfahrt eingeholt. Also kurz vor halbem Hochwasser los und entspannt auf halben Wind darüber gurken. Das Wetter hatte sich etwas Wechselhaft angekündigt, aber stabil, was Windstärke und Richtung anbelangte. Wenn ich jetzt hier schon so lange schreibe, dass alles ganz entspannt laufen sollte, geht ihr sicherlich davon aus, dass jetzt auch was kommt, was von dem Plan abweicht. Ihr liegt richtig. ca. 15 sm vor Jersey, leicht in Luv geraten wir in den ersten richtigen Squall mit Rocinante. Wir konnten die böse Wolke bereits in Luv heranziehen sehen. Die Geschwindigkeit und die Kraft, die in diesen dunklen, zerrissenen Wolken steckt ist immer wieder beeindruckend. 35+ kn Wind, Platzregen, schlechte Sicht und wir auf Legerwall. Es war als ob die Welt untergehen würde. In Sekunden waren wir klitsch nass und, was vorher nicht warm war, war auf einmal sehr kalt und ungemütlich. Aber so schlimm es im Moment auch wirkt, es geht vorbei und als sie Sicht wieder besser wurde sahen wir auch die Insel wieder. Im Hafen angekommen erwartete uns eine weitere Überraschung. Die Marina war für Sportboote aufgrund von Umbauarbeiten geschlossen. Glücklicherweise gab es auch außerhalb der eigentlichen Marina ein Paar Anlegemöglichkeiten und wir konnten den aufregenden Tag mit einem Spaziergang durch Jersey ausklingen lassen. Trotzdem Jersey mir am geläufigsten von allen Kanalinseln war, was wahrscheinlich seinem Ruf als Steuerparadies liegt, fand ich die Stadt am langweiligsten, was wahrscheinlich an dem Vorhandensein von Finanzdienstleistern und Ihren Architekturvorlieben liegt. Leider hatten wir keine Zeit uns den ländlichen Teil der Insel anzuschauen. Ich hätte mich gerne eines Besseren belehren lassen.
Bereits am nächsten Morgen machten wir uns auf unsere letzte Etappe nach St. Malo. Bei abnehmenden, und leider von Beginn an bereits schwachen Winden aus SW segelten wir, später dann mit der Unterstützung des Motors, vobei an dem Plateau des Miniquiers nach Süden. Am frühen Nachmittag genossen wir die beeindruckende Anfahrt auf St. Malo. Viele Felsen, viele Segler und dann das Erscheinen der massiven Stadtmauer der Stadt. Wir ließen die neue Marina an Steuerbord und stellten uns mit einigen Fischerbooten und einem Explorationsschiff an der Schleuse in den Innenhafen an. Dort hatten wir in der Marina Port Vauban einen Platz reserviert. Das Schleusen mit so vielen großen Schiffen und einem Tidenhub von fast 10 Metern war ein sehr eindrückliches Erlebnis. Helfende Hände der Schleuse warfen uns leinen zu, an denen unsere dann nach oben gezogen wurden. So hoch war der Höhenunterschied. Aber die Aufregung war es absolut wert. Port Vauban ist ein relativ kleiner Hafen, direkt vor der Stadtmauer. Durch die Schleuse gibt es dort keine Tide und die Schiffe liegen dort sehr ruhig. Ein Mitarbeiter der Marina holte uns sogar an der Schleuse ab und geleitete uns zu unserem Liegeplatz für die nächsten Tage. Ein sehr freundliches Ankommen mit einem fantastischen Panorama.